Geb.1961 in Zug, Schweiz. Mutter von 6 Kindern (im Alter von 24 – 34 Jahren, Zwillinge mit X-Fragile-Syndrom) und vier Enkelkinder. Neben ihrer Aufgabe als Familienfrau arbeitet sie als Haushaltlehrmeisterin, Lehrerin, heilpädagogische Katechetin, Dorn- und Breuss-Masseurin, ehrenamtliche Mitarbeit in der Pfarrei und im Flüchtlingswesen. Engagement im Frauen- und Mütterbund Schweiz, leitet zwei Ligagruppen.
Ich wuchs anfangs der 60er Jahre in der Deutschschweiz auf. Da trug man noch den ganzen Winter Wollstrumpfhosen. Ich hasste sie, weil ich darauf einen allergischen Juckreiz entwickelte. Ich wollte als Kind nach draußen, Radfahren, die Welt erleben, die Hühner meiner Großeltern, das Dreirad. Ich fühlte mich oft allein, meine Mutter hatte viele Sorgen und war häufig krank und merkte manchmal nicht so recht, dass ich mehr Nähe gebraucht hätte. Wochenlang war ich bei meinen Großeltern. Ich liebte meinen Großvater, auch wenn ich seine Wutausbrüche fürchtete. Mein Zimmer war bei meinen Großeltern Wand an Wand mit dem viel zu früh sterbenden Großvater. Ich hörte nachts, wie er keine Luft kriegte und lag wach mit Todesängsten. Zuhause hatte ich kein eigenes Zimmer. Mein älterer Bruder schon – ich schlief in der Stube bis ich 14 Jahre alt war. Mein Vater war eher still. Ich war aber froh, wenn er da war, weil meine Mutter dann weniger an mir herumnörgelte. Eigentlich meinte sie es sehr gut mit mir, hatte aber so klare Vorstellungen, wie ich hätte sein sollen, dass ich oft den Eindruck hatte, ihrem Ideal niemals genügen zu können.
In Zeiten der inneren Einsamkeit vertraute ich oft der Muttergottes bei uns zu Hause meine Sorgen an. Mit ihr war ich in regem Kontakt. Ich erinnere mich, dass ich mit acht Jahren in der Krypta einer Kirche ein ganz intensives Erlebnis hatte, dass die Wahrheit des Glaubens real sei, dass Maria wirklich die Mutter Gottes ist. Diese Verbindung mit der himmlischen Mutter wurde mir wichtig, da mir im Alltag mütterliche Menschen oft fehlten. Ich bewunderte warmherzige Mütter. Um sie herum war es mir immer wohl. Ich beneidete alle, welche mit ihren Müttern etwas basteln, backen oder unternehmen konnten. Es gab auch Frauen in meiner Jugend, die keine Kinder hatten, die ich aber als sehr mütterlich erlebte, sorgende, kreative, eigenständige Frauen. Frauen, deren wichtigstes Ziel Karriere und Erfolg war, blieben mir fremd. Ich scheute strenge, autoritäre, überorganisierte Frauen. Bei ihnen fühlte ich mich fremd.
Auf der anderen Seite wollte ich einen Beruf, der mir gefiel und ich fand es nicht gerecht, dass mein Bruder ans Gymnasium gehen und Arzt studieren durfte, für mich aber keine Wahl bestand, Krankenschwester oder Ärztin zu werden. Wie gerne wäre ich nach Afrika gegangen oder nach Asien, um in einem Spital zu helfen. Mir muteten meine Eltern aber das Gymnasium nicht zu, weil sie dachten, der Lehrerinnenberuf sei besser für mich. Ich kann nicht leugnen, dass ich gerne mit Kindern arbeitete und so wurde ich auch glücklich in diesem Beruf. Aber meine Sehnsucht, Menschen zu helfen, war damit nicht einfach vom Tisch. Meine Töchter sollten einmal frei entscheiden dürfen und haben dies auch getan.
Als junge Lehrerin lernte ich einen vier Jahre älteren Lehrer kennen, der mir sagte, er suche keine Freundin, sondern eine Frau. Er wollte sich nicht mehr auf emotionale Bindungen ohne klares Ziel einlassen. Ich steckte persönlich in einer zu Ende gehenden, ausweglosen Beziehung fest und war froh um diese Klarheit. In seiner Wohnung hatte dieser Lehrer ein Hausheiligtum mit dem Bild der MTA. So was hatte ich noch nie gesehen. Ein junger Mann, der betet und in allen Schwierigkeiten sich der Mutter Gottes anvertraut. Das machte mir Eindruck und drei Monate später waren wir schon verlobt. Durch ihn lernte ich die Schönstattbewegung kennen und wir setzten uns mit den pädagogischen Grundlagen Pater Kentenichs auseinander. Da er bei den Männern engagiert war, wollte ich mich mit Frauen zusammentun und engagierte mich bei der Gründung des Frauen- und Mütterbundes Schweiz. Aber ich muss zugeben, ich bin unserer Bewegung gegenüber immer auch kritisch verbunden geblieben. Bei mir darf nichts zur Gewohnheit werden, Bindung darf mich nicht einengen, einen Zwangscharakter haben. Ich möchte selbständig entscheiden, junge Frauen stärken auf ihrem Weg, das Mütterliche in ihnen zu entdecken in der Beziehung zur Mutter Gottes.
Vom ersten Tag des Lockdowns schrillten bei mir die Alarmglocken. Ich fand es unmenschlich, dass alte Menschen isoliert wurden. Ich hatte Angst, dass, wenn unsere erwachsenen behinderten Zwillinge ins Spital gehen müssten, ich von ihnen getrennt werden könnte. Das machte mich ohnmächtig und stark. Ich hatte nur eine Nacht wirklich Angst vor dem Virus. Dann wusste ich, dass ich im Notfall lieber mein Leben riskieren würde. Der Heilige Franziskus war mir da Vorbild, der auch die Leprakranken besucht hatte.
Und in dieser kalten Welt spürte ich ganz stark, dass es mütterliche Menschen braucht, die Wärme verbreiten, die bei allen Vorsichtsmaßnahmen immer darauf achten, dass das Menschliche nicht stirbt. Gott lebt für mich im Mitmenschen so stark, dass ich nicht gleichgültig sein kann, auch wenn ich zu unterscheiden lernen musste, wo es mich braucht.
In den Augen der Großkinder, in den Nöten der jungen äthiopischen Mutter, die ich betreue, in den Frauengruppen, die ich begleiten darf, in der Schönheit von Gottes Schöpfung. Im Lago di Saose, in den schneebedeckten Bergen, dem weiten Meer, aber auch in den Blumen und Früchten des Gartens. Wenn ich Gott nicht spüre, wenn meine Seele an Spannkraft verliert, dann werde ich traurig, dann suche ich Gottes Nähe im Heiligtum, in der Eucharistie. Ich brauche immer Visionen.
Wenn ich jungen Frauen helfen kann, selber ihre eigene Mütterlichkeit zu entdecken, dann bin ich voll im Element und nicht zu bremsen. Für mich ist die Familie nicht nur meine Kernfamilie. Unser Haus steht allen offen. Ich wollte nicht ein Haus ohne Aufgabe haben. Unser Haus soll Menschen zueinander bringen, es soll helfen, dass sich Menschen näherkommen und etwas vom Geheimnis Gottes erfahren, dem Geheimnis der dreifaltigen Liebe.
Maria lehrt mich immer wieder, mich ganz hinzugeben in meinem Alltag, nicht meine Selbstverwirklichung zu suchen. Das verstehe ich unter Reinheit des Herzens. Nichts für mich behalten, der Aggression keinen Raum geben, immer in Bewegung auf IHN zu, IHN, der sich klein gemacht hat, um aus dem Schoß einer Mutter uns zu begegnen. Und wenn mir diese Hingabe gelingt, wenn andere Menschen Kraft schöpfen in meiner Umgebung, dann bin ich glücklich. Das sind ganz konkrete Erfahrungen: Wenn ich merke, wie sich meine älteren Kinder für ihre jüngeren Geschwister einsetzen, wenn ich das Glück in den Augen unserer behinderten Zwillinge sehe, ich einer Mutter mit Rat und Tat zur Seite stehen kann, wir einander aushelfen, miteinander beten und singen, lachen und spielen. Niemand soll sich bei uns ausgeschlossen fühlen und allein, das bin ich dem kleinen Mädchen schuldig, das Wollstrumpfhosen tragen musste, auch wenn es juckte.